Willi Bolle

Deutsche Literatur über Brasilien in den 1930er und 1940er Jahren

Deutsche Literatur über Brasilien in den 1930er und 1940er Jahren
Titelbild des Buches Literatura Alemã

Im Unterschied zu den deutschen Forschungsreisenden, die im Laufe des 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Brasilien kamen, verfassten die vier deutschsprachigen Autoren, die während der 1930er und 1940er Jahre über Brasilien schrieben und die wir hier als repräsentative Vertreter jener Zeit ausgewählt haben, ihre Texte als Antwort auf die damalige politische Situation in Deutschland.

Alfred Döblin (1878-1957), weltweit bekannt geworden durch seinen Roman Berlin Alexanderplatz (1929), gehört zusammen mit Kafka, Brecht und Thomas Mann zu den wichtigsten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Er war zwar nie in Brasilien, studierte das Land jedoch intensiv während seines Exils in Frankreich, bevor er von dort im Jahre 1940 in die USA emigrierte. In Paris schrieb Döblin zwischen 1935 und 1937 eine „Amazonas-Trilogie“. Wie George B. Sperber in seinem Beitrag näher erläutert, ist das diesen drei Romanen gemeinsame Thema die Suche nach Utopien: sowohl seitens der Europäer, die ihre Wünsche auf die Neue Welt projizierten, als auch seitens der Indianer. Der Grundton dieses in den Jahren kurz vor dem Zweiten Weltkrieg verfassten Werks ist der eines tiefen Skeptizismus.

Die beiden Intellektuellen jüdischen Ursprungs Otto Maria Carpeaux (1900-1978) und Anatol Rosenfeld (1912-1973) – der erste, aus Wien stammend, kam im Jahre 1939 nach Rio de Janeiro, der zweite war bereits 1937 von Berlin nach São Paulo emigriert – haben hervorragende brasilianische Literatur- und Kulturkritiker wie Alfredo Bosi und Roberto Schwarz in entscheidender Weise beeinflusst. In ihrer neuen Heimat entwickelten Carpeaux und Rosenfeld – wie Albert von Brunn, Lígia Chiappini und Marcel Vejmelka zeigen – ihre Rollen als Vermittler zwischen der deutschsprachigen und der brasilianischen Kultur, wobei sie die Analyse der literarischen Werke mittels Reflexionen über Probleme und kulturelle Werte allgemeinen Interesses vertieften.

Stefan Zweig (1881-1942) kam zweimal nach Brasilien: zuerst im Jahre 1936, um Rio de Janeiro und São Paulo kennenzulernen und sich dabei dem brasilianischen Publikum als Erfolgsautor vorzustellen; und dann im Jahre 1940, um der Nazi-Diktatur zu entgehen. Sein während der Jahre 1940-1941 verfasstes und sogleich danach veröffentlichtes Buch Brasilien – ein Land der Zukunft hat einen emblematischen Titel. Der Autor hebt den Kontrast zwischen diesem Land der Neuen Welt und Europa hervor, das in dem von ihm parallel dazu geschriebenen Buch als Die Welt von gestern dargestellt wird. Die Benennung „Land der Zukunft” wurde zu einem Stereotyp, das die Interpreten bis heute herausfordert und das in dieser Anthologie von Alberto Dines näher untersucht wird.