Willi Bolle und Eckhard E. Kupfer
Vorwort
Dieser Überblick und Einblick in die Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien ist in drei historische Perioden unterteilt, wobei wir in jeder ein besonderes Profil hervorheben:
1) das 16. bis 18. Jahrhundert, also die Zeit, in der Portugal seine Kolonie Brasilien gegen jeden anderen Einfluss stark abschirmte;
2) das 19. Jahrhundert, besonders sein Beginn, als Brasilien sich international öffnete und die Unabhängigkeit erlangte;
3) die Zeit vom Beginn der Republik (1889) bis zum Zweiten Weltkrieg, das „Zeitalter der Imperien“, als die Rivalität zwischen den Großmächten zu bewaffneten Auseinandersetzungen führte.
Diesen Veränderungen im Laufe der Geschichte versucht das Buch in seinem Aufbau gerecht zu werden. Der Grundgedanke ist, einen Dialog zwischen den beiden Ländern darzustellen und verschiedene Dimensionen der Vermittlung zwischen ihren so unterschiedlichen Kulturen auszuprobieren.
Für die Kolonialzeit, also für die ersten drei hier kommentierten Jahrhunderte, werden die Begriffe „deutsch“ und „brasilianisch“ nur als didaktische Etiketten verwendet. Diese Identitäten wurden nämlich in jener Epoche von den geschichtlichen Akteuren gar nicht benutzt. Unternehmungen wie die der Soldaten und Abenteurer Ulrich Schmidel und Hans Staden, in der Zeit zwischen 1536 und 1555, gingen nicht von „Deutschland“ aus, sondern waren Einzelaktionen. Im Fall der Jesuiten, d.h. der im Jahre 1534 von dem Spanier Ignatius von Loyola gegründeten „Gesellschaft Jesu“ (Societas Jesu), handelt es sich um eine Organisation mit einem breiten internationalen Wirkungskreis, auch mit deutschsprachigen Missionaren wie Johann Philipp Bettendorff (1625-1698) und Anselm Eckart (1721-1809) in Amazonien. Das Verbot der Jesuiten in Brasilien und ihre Ausweisung Mitte des 18. Jahrhunderts unter der Regierung Pombal ist einer der Belege dafür, wie streng Portugal seine Kolonie kontrollierte. Vor allem galt das für die Außenpolitik, für die kriegerischen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert mit den konkurrierenden Mächten Frankreich, England und Holland. Der deutsche Graf Johann Moritz von Nassau-Siegen, der von 1637 bis 1644 die Kolonie Recife verwaltete, welche die Holländer zwischen 1630 und 1654 unterhielten, war ein Feind Portugals. Nach dem Sieg über die Holländer ließen die Portugiesen keine Ausländer mehr in ihre Kolonie Brasilien – ein Verbot, das bis zur Zeit der Reise Alexander von Humboldts bestand, der im Jahre 1801 die venezolanisch-brasilianische Grenze am Rio Negro nicht überschreiten durfte.
Erst ab 1808, mit der Flucht des portugiesischen Hofstaats nach Rio de Janeiro, und intensiver noch ab 1817, mit der dynastischen Verbindung zwischen D. Pedro I und Leopoldine von Habsburg, erfolgte die internationale Öffnung Brasiliens. Zu den Prioritäten der Regierung, besonders ab 1822, mit der Erlangung der Unabhängigkeit Brasiliens, gehörte nunmehr eine umfassende wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Ressourcen des riesigen tropischen Landes, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit portugiesischen Forschern begonnen hatte. Die Kaiserin Leopoldine, die sich mit dem Studium der Mineralogie befasst hatte, war eine entscheidende Förderin der Forschungen in diesem und in anderen Wissenschaftsbereichen, mit starker deutscher und österreichischer Beteiligung. Auf den Einsatz von Bergwerkingenieuren wie Eschwege und Varnhagen folgten Expeditionen von international hervorragenden Wissenschaftlern wie Spix und Martius, Pohl und Natterer, Wied-Neuwied und Langsdorff. Einige ihrer Publikationen gelten noch heute als wissenschaftliche Paradigmen. Von entscheidender Bedeutung für die Geschichte Brasiliens ist auch die Einwanderung von deutschen Siedlern, die ab 1824 erfolgte. Im Interesse der brasilianischen Monarchie sollten sie vor allem drei Funktionen erfüllen: eine wirtschaftliche Alternative zur Sklaverei bieten, ein Gegengewicht zu den Großgrundbesitzern bilden und die Sicherung der Grenzen im Süden des Landes garantieren. Mit der Gründung von Schulen, Kirchen, Vereinen und Zeitungen schufen die deutschen Einwanderer sowohl auf dem Lande als auch in den Städten wichtige Einrichtungen zur Organisation des gesellschaftlichen Lebens.
Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konsolidierte sich der Beitrag der deutschstämmigen Einwanderer zur Entwicklung Brasiliens, die um 1900 mit einer Zahl von 350.000 etwa 2% der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachten. In der Wirtschaft erfolgten Unternehmungsgründungen vor allem im Transportwesen, im Export- und Importgeschäft (besonders im Kaffeehandel), im Brau- und Druckgewerbe, in der Hutfabrikation sowie im Bank- und Versicherungswesen. Im „Zeitalter der Imperien“ wurde Deutschland, nach England und den USA, zum drittwichtigsten Wirtschaftspartner Brasiliens. Nach der Unterbrechung der Beziehungen durch den Ersten Weltkrieg wurde diese Stellung Anfang der 1930er Jahre noch verbessert. Im Unterschied zu seinen Konkurrenten exportierte Deutschland nicht nur nach Brasilien, sondern importierte auch massiv von dort, wobei ein finanzielles Kompensationssystem zur Bewältigung der mit der Weltwirtschaftkrise von 1929 eingetretenen Geldknappheit eingesetzt wurde. Der Nationalsozialismus in Deutschland hatte zwiespältige Auswirkungen auf Brasilien. Einerseits wurde das Land zum Zufluchtsort und zu einer neuen Heimat für die vom NS-Regime Verfolgten, andererseits sympathisierte die Regierung von Getúlio Vargas bis Anfang der 1940er Jahre mit den Achsenmächten. In jenen Jahren wurde Brasilien auch zu einem Szenario der deutschen Literatur, besonders in den Texten von Alfred Döblin (1935-1937) und Stefan Zweig (1940-1941). Aus Zweigs vieldiskutierter Prognose von Brasilien als „Land der Zukunft“ ist später zumindest ein Teil Wirklichkeit geworden.
Der Charakter eines Dialogs zwischen der deutschsprachigen und der brasilianischen Kultur wird in dem vorliegenden Buch durch die Zweisprachigkeit aller Beiträge unterstrichen, sowie durch die Tatsache, dass die Autorinnen und Autoren sowohl aus dem deutschsprachigen Raum als auch aus Brasilien stammen. Mit der Auswahl der Texte wird keine enzyklopädische Vollständigkeit angestrebt, sondern eine repräsentative Auswahl von Themen und Autoren. Es soll ein Lesebuch vorgelegt werden, das zur Erinnerung an die wichtigsten geschichtlichen Fakten in der Beziehung zwischen Deutschland und Brasilien anregt. Die von den Autoren vorgelegten Daten sind wissenschaftlich fundiert, und der Stil ist, mit Blick auf ein allgemein interessiertes Publikum, bewusst populärwissenschaftlich gehalten. Die Texte werden durch ein reiches Bildmaterial illustriert. Es wird bereits an einem zweiten, ergänzenden Band gearbeitet, der die deutsch-brasilianischen Beziehungen von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft unter vielfältigen Aspekten behandelt.