Holger Kürbis

Johann Moritz von Nassau-Siegen und Recife: Eine Erfolgsgeschichte?

Johann Moritz von Nassau-Siegen und Recife: Eine Erfolgsgeschichte?
Frans Post. Landschaft mit Ruine der Kathedrale von Olinda. Ölgemälde, 1660-1670. Staatsgalerie Stuttgart

Die kurze Periode kolonialer Herrschaft  der Vereinigten Provinzen der Niederlande  im Nordosten Brasiliens zwischen 1630 und 1654, besonders aber die Regentschaft des Gouverneurs Johann Moritz Graf von Nassau-Siegen in den Jahren 1637 bis 1644 in dieser Kolonie, wird im Allgemeinen als Blütezeit derselben dargestellt. Überstrahlt wird das nur durch die Person des Grafen selbst, dem in der Regel ausschließlich positive Attribute zugesprochen werden. Viele Aspekte treffen dabei durchaus zu, allerdings bleibt man gut beraten, eine kritische Distanz zu wahren, gerade auch im Hinblick auf die im 17. Jahrhundert durch Johann Moritz selbst betriebene oder veranlasste Verherrlichung seiner Regierung in der niederländischen Kolonie. Legende und Wirklichkeit haben sich hier zu einem dichten Geflecht verwoben, das kaum zu entwirren ist. Das kann und soll an dieser Stelle auch nicht geschehen. Im Folgenden geht es um einen kurzen Überblick, der die wichtigsten Punkte der brasilianischen Zeit des Grafen Johann Moritz streift und in die allgemeinen Zusammenhänge einordnet.

Der 1568 begonnene Krieg zwischen den Vereinigten Provinzen der Niederlande  und Spanien dauerte bereits fast siebzig Jahre. Im August des Jahres 1636 erhielt Johann Moritz Graf von Nassau- Siegen seine Bestallung als „Gouverneur Capitain ende Admirael General, ouer onse Landen, fortresen, Stede, ende plaetsen in Brasil. Als ooct ouer onse Schepen ende Vesting aldaer, ...“ (vgl. Brunn, 2004) der niederländischen Westindischen Kompanie (WIC). Warum und auf welchem Weg die Person des Grafen Johann Moritz von Nassau-Siegen ins Spiel kam und weshalb er letztlich den Posten bei der Handelskompanie antrat, ist bis heute nicht befriedigend geklärt. Letztlich war diese Aufgabe auch mit einem nicht unerheblichen persönlichen Risiko verbunden. Bereits die Reise nach Brasilien barg zahlreiche Unwägbarkeiten. Dazu kamen die Gefahren durch Kampfhandlungen. So fiel etwa bereits 1637 während der ersten Kampagne ein Vetter des Gouverneurs, ein leiblicher Sohn Moritz von Oraniens. Krankheiten, die durch einen längeren Aufenthalt in den Tropen unvermeidbar waren, bildeten ein weiteres Risiko. Johann Moritz selbst litt nach seiner Ankunft in Brasilien an Malaria. Einer seiner jüngeren Brüder, Johann Ernst II., verstarb 1639 an einer Krankheit.

Gleichwohl sollte sich zeigen,  dass die Wahl der Direktoren der WIC weise war. Sowohl in militärischer als auch administrativer Hinsicht verfügte der  nassauische Graf über reiche Erfahrungen. Als Offizier im Heer der Generalstaaten hatte er seit dem erneuten Ausbruch des Krieges mit der spanischen Monarchie im Jahre  1621 an allen maßgeblichen Kampfhandlungen, besonders an den zahlreichen Belagerungen teilgenommen und sich dabei auch persönlich ausgezeichnet, zuletzt in den Jahren 1635 und 1636 bei der Rückeroberung der Festung Schenkenschanz. Daneben verfügte er über ausgeprägtes diplomatisches Geschick und eine pragmatische Einstellung zu religiösen und ethnischen Fragen. Sowohl sein Amt als Generalgouverneur als auch sein hoher persönlicher Rang als naher Verwandter der niederländischen Statthalter und Angehöriger einer der vornehmsten nordwesteuropäischen Adelsgeschlechter sicherten die Akzeptanz nicht nur der niederländischen, sondern  auch der portugiesischen Siedler. Zudem war er mit diesen Attributen ein ebenbürtiger Verhandlungspartner für den portugiesischen Vizekönig.

Die niederländische Westindische Kompanie hatte Mitte der 1630er Jahre erhebliche Probleme. Besonders die Situation der jungen Kolonie im Nordosten Brasiliens, die erst seit einem halben Jahrzehnt bestand, war kritisch. Eine Maßnahme, die die neunzehn Direktoren der WIC (Heeren XIX) beschlossen, bestand darin, den bis dahin getrennten zivilen und militärischen Oberbefehl über die Kolonie in die Hände einer Person zu legen, um den Bestand der Kolonie dauerhaft zu sichern. Die WIC war im Jahre  1621 nach dem Vorbild der niederländischen Ostindischen Kompanie (VOC) gegründet worden. Zwar spielten  auch bei dieser Gründung die Aspekte der Kolonialisierung und des Handels eine Rolle, im Vordergrund stand allerdings aufgrund des andauernden Konfliktes zwischen den Vereinigten Provinzen und der spanischen Monarchie in Europa der militärische Aspekt. Der Handel zwischen dem spanisch-portugiesischen Kolonialreich und der Iberischen Halbinsel, vor allem der stetige Strom an Edelmetallen sollte gestört oder eingedämmt  werden. Brasilien stand dabei im Mittelpunkt des Interesses. Die strategische Position war günstig. Aufgrund vorherrschender Windrichtungen und Strömungen war der Nordosten Brasiliens auf dem Weg von Europa über die Kanarischen und die Kapverdischen  Inseln gut erreichbar. Das galt auch für den Rückweg. Ebenso bot sich die Lage als mögliche Zwischenstation für die Route um das Kap der Guten Hoffnung nach Ostindien an. Daneben waren von dort auch die Inseln unter dem Wind in der Karibik und die afrikanische Küste vergleichsweise gut erreichbar.

Die anfänglichen Erfolge der WIC waren allerdings verblasst. So hatte im Jahre 1624 eine Flotte der WIC die Stadt São Salvador da Bahia erobert, die allerdings bereits im folgenden Jahr wieder verloren ging. Spektakulär war die Erbeutung einer spanischen Silberflotte durch eine Flotte der WIC unter dem Kommando Piet Heyns im Jahre 1628, womit nicht unerhebliche Mittel für einen neuen Anlauf in Brasilien bereit standen, der dann ab 1629/1630 unternommen worden war. Ein schmaler Küstenstreifen mit den Städten Olinda und Recife in der Provinz Pernambuco war durch die Niederländer besetzt worden. Allerdings war der Bestand der Kolonie keineswegs gesichert.

Die vordringlichste Aufgabe für Johann Moritz, der als Gouverneur am 23. Januar 1637, fast drei Monate nach seinem Aufbruch von Texel, seinen Fuß in Recife auf brasilianischen Boden setzte, bestand in der militärischen Sicherung und, wenn möglich, der Ausweitung der niederländischen Kolonie im Nordosten Brasiliens. Allerdings stand dem Gouverneur in der Regel dafür eine nicht ausreichende Truppenzahl zur Verfügung, was ein wiederkehrender Streitpunkt zwischen ihm und den Direktoren der WIC war. Bereits im Frühjahr des Jahres 1637 führte Johann Moritz seinen ersten Feldzug, der mit der Einnahme Porto Calvos und der endgültigen Sicherung der Provinz Pernambuco  endete. In das gleiche Jahr fiel die Eroberung der Provinz Ceará.

Der von der WIC mehrfach geforderte  Angriff auf São Salvador da Bahia, den der Gouverneur im Jahre  1638 unternahm, schlug fehl. Militärisch war das eine der wenigen Niederlagen von Johann Moritz. Die in späteren Jahren erfolgten Aufforderungen zu einem erneuten Angriff lehnte er alle ab. Einen konzentrierten Angriff auf die niederländischen Besitzungen durch eine spanisch- portugiesische Flotte in den Jahren 1639 und 1640 konnten  die Niederländer, auch aufgrund mangelnder Koordination  auf der Gegenseite, erfolgreich abwehren.

Johann Moritz beschränkte  seine Unternehmungen allerdings nicht auf Südamerika. Zur Bewirtschaftung der großen Zuckerrohrplantagen wurde der Einsatz afrikanischer Sklaven als notwendig betrachtet. Zur Brechung des portugiesischen Monopols des Sklavenhandels erfolgten von Brasilien aus Unternehmungen, die sich gegen zentrale portugiesische Stützpunkte an der westafrikanischen Küste richteten. So veranlasste Johann Moritz im Jahr seiner Ankunft in Brasilien die Eroberung des portugiesischen Forts São Jorge da Mina an der Goldküste. Im Jahre  1641 gelang den Niederländern die Einnahme Luandas in Angola. Damit hatte sich die WIC wichtige  Basen in Afrika für den Sklavenhandel gesichert, was der Handelsgesellschaft in der Folge große Gewinne einbrachte.

Die wesentlichen Maßnahmen zur militärischen Sicherung der Kolonie, wozu auch die Anlage neuer Befestigungswerke zählte, etwa das Fort Maurits am nördlichen Ufer des Rio São Francisco nach 1637, waren 1641 abgeschlossen. Während in Europa nach der Trennung Portugals von der spanischen Monarchie im Jahre  1640 zwischen dem Land und den Vereinigten Provinzen zunächst ein Waffenstillstand, später ein Friedensabkommen herrschte, gingen die Auseinandersetzungen im außereuropäischen Raum zunächst weiter. Bevor der Vertrag in Südamerika eintraf, ließ Johann Moritz die Provinzen Sergipe del Rey und Maranhão erobern.

Parallel zu den militärischen Aufgaben widmete sich der Gouverneur der zweiten zentralen Aufgabe, die in der wirtschaftlichen Konsolidierung der Kolonie bestand, oder kurz, in der Wiederherstellung der Zuckerproduktion, die durch die militärischen Auseinandersetzungen stark gelitten hatte. Johann Moritz ließ die verlassenen bzw. verfallenen Zuckerrohrplantagen versteigern. Die Käufer, fast ausschließlich Portugiesen, finanzierten die Erwerbungen in der Regel über Kredite, die von Niederländern gewährt wurden. Das war vom Ansatz her sicher eine überzeugende Idee und führte auch bald zu einer erheblichen Steigerung der Produktion. Allerdings fiel der Höhepunkt der Zuckerproduktion mit dem Zusammenbruch des Zuckerpreises in Amsterdam zusammen. Das zog wiederum wirtschaftliche Konsequenzen für die Betreiber der Zuckerrohrplantagen nach sich. Hierin findet sich letztlich auch eine der Ursachen für den Aufstand der Portugiesen gegen die Niederländer und den Verlust der Kolonie im Jahre  1654. Allerdings lassen sich weder der wirtschaftliche Niedergang der Kolonie, noch deren Verlust der Regentschaft von Johann Moritz anlasten. Er hatte zumindest den Versuch unternommen, die Interessen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, in erster Linie der Portugiesen und Niederländer, auszugleichen.

Seinem persönlichen Rang und dem Amt entsprechend etablierte Johann Moritz in Brasilien eine kleine Hofhaltung. Damit waren auch zahlreiche Bauprojekte verbunden, die der Kolonie bzw. der Stadt Recife zugute kamen. Das auf einer Landzunge gelegene Recife war bereits bei der Ankunft von Johann Moritz zu klein, Platz für eine Erweiterung war nicht vorhanden. Aus diesem Grund ließ der Gouverneur die sumpfige Insel Antônio Vaz trocken legen und hier eine neue Stadt errichten, die seinen Namen trug: Mauritsstadt. Neben Wohngebäuden und Festungsanlagen entstand hier auch die neue Residenz des Gouverneurs, genannt Friburg, mit einer großzügigen Parkanlage. Daneben ließ sich Johann Moritz ein Landhaus namens Boa Vista errichten. Die Insel wurde durch Brücken mit Recife und dem Festland verbunden. Die zwei markanten Türme der Residenz Friburg enthielten ein Leuchtfeuer und eine Sternwarte.

Die Wertschätzung für den Gouverneur verteilte  sich gleichermaßen sowohl auf die Niederländer als auch die Portugiesen im niederländischen Herrschaftsbereich und erstreckte sich zudem auf die indigene Bevölkerung. Dazu gehörte auch die Erlaubnis zur freien Religionsausübung für Katholiken und Juden, was bei den Anhängern des reformierten Bekenntnisses in der Kolonie sowie in der niederländischen Heimat nicht nur auf Zustimmung stieß. Zudem war das Verständnis innerhalb der WIC sowohl im Hinblick auf die repräsentativen Bemühungen des Gouverneurs als auch dessen Forderungen  nach einer stärkeren Truppenpräsenz zum Schutz der Kolonie nicht sehr ausgeprägt. Letztlich führten diese und andere Differenzen dazu, dass Johann Moritz sein Amt 1644 niederlegte und Brasilien am 22. Mai 1644 verließ.

Bereits im folgenden Jahr erhoben sich die portugiesischen Siedler in den von den Niederländern beherrschten Provinzen. Unterstützung erhielten sie dabei aus São Salvador da Bahia. Den Hintergrund bildeten zum einen die bereits angedeuteten wirtschaftlichen Schwierigkeiten, zum anderen die Unduldsamkeit gegenüber dem katholischen Bekenntnis der portugiesischen Siedler. Der langsame Rückzug der Niederländer aus dem Nordosten Brasiliens sollte noch ein Jahrzehnt dauern, bis im Jahre 1654 die letzten Stützpunkte kapitulierten.

Ob eine längere Amtszeit des nassauischen Grafen den weiteren Bestand der niederländischen Kolonie gesichert hätte, ist fraglich. Augenfällig ist aber die Integrationskraft von Johann Moritz, die ihre Wirkung über religiöse, konfessionelle und ethnische Unterschiede hinaus entfaltete. Entscheidend trug zu dem insgesamt positiven Bild seiner Gouverneurszeit der geschickte Einsatz unterschiedlicher Medien bei, die diese Zeit beschrieben und einer weiteren Öffentlichkeit in Europa bekannt machten. Auf Veranlassung der WIC hatte eine Reihe von Künstlern und Gelehrten Johann Moritz bei seiner Reise nach Brasilien begleitet. Dazu gehörten neben den Malern Frans Post und Albert Eckhout auch der Geograph Georg Markgraf und der Arzt Willem Piso.

Das Werk der beiden Maler sollte auch über die Zeit ihrer Rückkehr hinaus sehr stark von ihren brasilianischen Erfahrungen geprägt bleiben. Wir verdanken ihnen zahlreiche Gemälde und Zeichnungen, die ein teilweise anschauliches, teilweise stark idealisiertes Bild der niederländischen Kolonie vermitteln. Eine Reihe ihrer Gemälde diente als Vorlage für unterschiedliche Serien von Wandteppichen unter denen die „Teinture des Indes“ zu den erfolgreichsten und kunstvollsten Schöpfungen dieser Gattung gehören.

Der wissenschaftliche Ertrag spiegelt sich besonders in den Werken Georg Markgrafs und Willem Pisos. Neben einer Beschreibung der Flora und Fauna des nordöstlichen Brasiliens finden sich in ihren Veröffentlichungen auch Beschreibungen der indigenen Bevölkerungsgruppen. Ebenso gehören dazu zahlreiche astronomische Beobachtungen. Willem Piso schließlich widmete sich ausführlich den Tropenkrankheiten.

Ein weiterer Umstand trug zur Verbreitung des niederländischen Brasilienbildes  und der Rolle von Johann Moritz als Gouverneur der Kolonie bei. Der nassauische Graf hatte in Brasilien eine einmalige Sammlung an Naturalien, Gebrauchs- und Kunstgegenständen zusammen getragen, die ebenso wie die Gemälde Posts und Eckhouts kein vergleichbares Beispiel im Europa der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte. In den Jahren 1652, 1654 und 1679 verkaufte bzw. verschenkte Johann Moritz jeweils Teile dieser Sammlung an den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, den dänischen König Friedrich III. und an Ludwig XIV. von Frankreich.

Mit der Beschreibung der achtjährigen Gouverneurszeit von Johann Moritz durch Caspar Barlaeus, die in einer hochwertigen Ausstattung mit zahlreichen Kupferstichen bereits im Jahre  1647 erschienen war, legte dieser schließlich den Grundstein für die positive Erinnerung an den nassauischen Grafen, die sich getreu seinem Motto (fast) über den ganzen Erdkreis erstreckt: Qua patet orbis.