Eckhard E. Kupfer / Willi Bolle

Diplomatische Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland, 1889 – 1942

Diplomatische Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland, 1889 – 1942
São Paulo. Foto von G. Prügner, ohne Datum
Hierbei handelt es sich um eine Zusamenfassung von Eckhard E. Kupfer und Willi Bolle der Kapitel 1 und 2 des Buches von Luiz Alberto Moniz Bandeira, ‘O milagre alemão’ e o desenvolvimento do Brasil, 1949-2011. São Paulo: EdUNESP, 2011, S. 35-75.

Die Vereinigung der deutschen Staaten, nach dem Sieg über Frankreich im Jahr 1871, schuf die Basis für den Aufbau von umfassenden Beziehungen zu anderen Ländern. Während der Zeit als Deutschland in viele Einzelstaaten aufgeteilt war, hatte es nicht die Möglichkeit, überseeische Kolonien wie Großbritannien oder Frankreich aufzubauen. Letztlich erreichte das Land nur einige unbedeutende Kolonien wie Togo, Kamerun und Tanganika in Afrika, sowie einige Inseln in der Südsee. Während die europäischen Kolonialmächte ihre Rohstoffe aus den Kolonien bezogen, musste das neu geformte Deutschland sich andere Bezugsquellen erschließen. Dies war das entscheidende Motiv für die Regierung Bismarck, Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern Südamerikas aufzubauen. Das besondere Interesse galt Brasilien, als dem größten Land des Subkontinents.

Die Bemühungen wurden dadurch erleichtert, dass Brasilien bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts ein bevorzugtes Ziel für deutsche Einwanderer war. Ab 1824 entwickelte sich eine intensive Einwanderungswelle von Landarbeitern, Handwerkern, Soldaten und Händlern, die sich hauptsächlich im Süden des Landes ansiedelten. Nach der Abschaffung der brasilianischen Monarchie im Jahre 1889, spekulierten gewisse diplomatische Kreise in Berlin, dass sich Brasilien in mehrere selbstständige Staaten aufteilen würde, wie São Paulo, Santa Catarina und Rio Grande do Sul. Da diese Staaten von einer großen Zahl deutscher Einwanderer besiedelt waren, erhoffte man sich für das Reich einen entsprechend großen Einfluss. Reichskanzler Otto von Bismarck wies diese Spekulation jedoch energisch zurück, da daraus Komplikationen mit den Vereinigten Staaten hätten entstehen können. Tatsächlich wurde diese Abspaltung nicht realisiert, trotz des Bürgerkriegs im Jahre 1893. Der Wirtschaftsaustausch zwischen Deutschland und Brasilien weitete sich derart aus, dass im Jahr 1896 das von Heydtsche Dekret (1859), das die Anwerbung von Siedlern für Brasilien in Deutschland verbot, aufgehoben wurde. Infolgedessen stieg die Zahl der Auswanderer zwischen 1896 und 1907 auf 350.000 Personen, die etwa zwei Prozent der brasilianischen Bevölkerung ausmachten.

Im November 1905 ging das Kriegsschiff SMS Panther, der kaiserlichen Marine, in Itajaí/Santa Catarina ohne brasilianische Erlaubnis vor Anker. Einige deutsche Offiziere gingen von Bord und suchten Fritz Steinhoff, einen Deserteur. Man fand ihn im Hotel Comércio und verhaftete ihn. Dieser Vorfall entwickelte sich zu einer diplomatischen Krise zwischen Rio de Janeiro und Berlin, die nur mit einem offiziellen Entschuldigungsschreiben des deutschen Ministers Karl Georg von Treutler gelöst werden konnte.

In den Jahren 1904 bis 1906 stieg der deutsche Anteil am Kaffeeexport von 15% auf 31% an, während der deutsche Anteil am Gesamtexport Brasiliens von 13% auf 17% zunahm. In diesem Zeitraum belegte Deutschland bereits den dritten Platz unter den brasilianischen Wirtschaftspartnern, lediglich die USA und Großbritannien lagen noch vorne, allerdings mit abnehmender Beteiligung des Letzteren. Im Laufe des Jahres 1906 fiel der Kaffeepreis unter die Einstandkosten. Aufgrund einer Initiative der Diskont Gesellschaft und der Dresdner Bank, zu welcher sich später die First National City Bank und auch englische und französische Gruppen gesellten, wurde das sogenannte Taubaté-Abkommen geschlossen, das einen Kredit von 919 Tausend englischen Pfund an den Staat São Paulo gewährte. Die Auszahlung erfolgte über die Brasilianische Bank für Deutschland. Dieser Kredit wurde jedoch von dem Bankhaus Rothschild in England, dem Hauptkreditgeber Brasiliens, abgelehnt. Die Rivalität zwischen den Großmächten Europas spitzte sich immer mehr zu, was sich auch auf den südamerikanischen Märkten bemerkbar machte. Bei der Lieferung von Kriegsmaterial gewann Krupp 1908 einen Auftrag gegen die französische Firma Schneider-Creuzot. Deutschland erreichte den Status als Präferenzpartner auf dem Militärsektor, dies wurde durch den Besuch einer Militärmission im Jahr 1910 besiegelt, deren Ziel es war, eine enge Zusammenarbeit bei der Reorganisation und Modernisierung des brasilianischen Militärs herzustellen.

Im Jahr 1913 erreichten die deutschen Exporte nach Brasilien den Wert von 234 Millionen Goldmark. Mit diesem Zuwachs überholte Deutschland die USA und bedrohte bereits den führenden Handelspartner Großbritannien, das diese Führung nur durch seinen Status als größter Kreditgeber hielt. Diese Position konnte bis 1914 gehalten werden, als der Beginn des ersten Weltkriegs den Warenaustausch mit Europa stark reduzierte. Die große Sympathie für die Alliierten und die heftige Reaktion des Volkes auf die deutschen Torpedoangriffe auf brasilianische Schiffe brachten Brasilien jedoch nicht dazu, Truppen nach Europa zu schicken. Seit 1915 demonstrierten die Arbeiterorganisationen in Rio de Janeiro und São Paulo und anderen Städten, unter der Anführerschaft von anarchistischen Gewerkschaften und sozialistischen Verbänden gegen den Krieg. Einige Schriftsteller, wie Lima Barreto und Monteiro Lobato unterstützten öffentlich Deutschland.

Die Vereinigten Staaten nützten die Kriegssituation aus, um ihre Stellung in Brasilien auch gegenüber Großbritannien und Frankreich zu verbessern und übernahmen die Kontrolle der Telegrafieunternehmen, ebenso wie der brasilianischen Eisenerzminen. Großbritannien verlor auf längere Sicht mehr in Brasilien als Deutschland. Im Jahr 1926 alarmierte das Wiedererstarken des deutschen Außenhandels mit Brasilien britische Diplomaten in Rio de Janeiro. Deutschland entwickelte sich bereits zum drittstärksten Lieferanten von industrialisierten Produkten. Seine Exporte nach Brasilien stiegen von 4,2 Millionen im Jahr 1922 auf 10,1 Millionen englische Pfund im Jahr 1926. Die Importe von Kaffee, Kakao, Tabak, Kautschuk, Baumwolle, Leder und anderen Materialien nahmen stark zu und verdoppelten sich nahezu zwischen 1922 und 1926.

Die Krise von 1929 traf den Warenaustausch von allen Ländern, sowohl die Exporte nach Brasilien als auch die Importe gingen stark zurück. Der Bevollmächtigte Brasiliens in Berlin bemerkte 1932, dass Deutschland der größte Markt für brasilianische Produkte sein könnte. Die brasilianische Währung, welche kurz nach dem ersten Weltkrieg eine bemerkenswerte Stabilität erreichte, wurde von dem Verfall des Kaffeepreises stark betroffen. Der Warenwert von Kaffee fiel 1930 um 73% und selbst 1937 lag er noch um 42% unter dem Wert von vor der Krise im Jahr 1929. In dieser Situation vereinbarten die Regierungen von Berlin und Rio de Janeiro die Einführung einer Kompensationswährung, ASKI-Mark genannt. Mit dieser Sonderwährung konnte Brasilien nur in Deutschland einkaufen. Die Berechnung begann 1934, sie bot Brasilien stabile Quoten für den Wareneinkauf an und beinhaltete die Möglichkeit diese zu steigern, sofern die dort eingefrorenen Kredite freigegeben würden. Der Generaldirektor für Industrie und Handel, M. Lacerda, erhob Bedenken, dass dieser Vorteil auf Kosten der nationalen Produktion gehen könnte. Die USA, mit welchen Brasilien ebenfalls ein Handelsabkommen aushandelte, beschwerten sich über diese Vereinbarung eines clearings mit Deutschland. Aber Präsident Vargas blieb hart. Denn Deutschland kaufte nicht nur Kaffee, sondern importierte auch eine Menge anderer Produkte wie Reis, Fleisch und Leder aus Rio Grande do Sul, Baumwolle aus dem Nordosten und São Paulo, außer Tabak und Kakao aus Bahia, wo die deutschen Firmen Krupp und Stahlunion Mangan abbauen wollten. Außerdem war es für Brasilien sehr attraktiv, diese Exporte mit Importen von Militärgütern wie Artillerieausrüstungen und Kampffahrzeugen auf dem Kompensationswege auszugleichen, denn das Land wollte aufrüsten.

Als die Regierung Vargas 1936 das amerikanische Außenministerium darüber informierte, dass man beabsichtige, das Kompensationsabkommen mit Deutschland zu erneuern, wurde dies von Washington als schädlich und unvorteilhaft beurteilt. Die USA sprachen sich für multilaterale Abkommen und einen internationalen Welthandel aus, in welchem solche privilegierten bilateralen Abkommen nur hinderlich wären. Doch Präsident Vargas gab wiederum nicht nach. Die Einführung des Abkommens zeigte seine Wirkung. Deutschland überholte die USA als Lieferant nach Brasilien. Sein Anteil am brasilianischen Import stieg von 14,02% im Jahr 1934 auf 25% 1938, während der Anteil der USA, trotz eines Freihandelsabkommens, nur von 23,67% auf 24,02% anstieg. Großbritanniens Anteil ging von 17,4% auf 10,04% zurück.

Verschiedene Faktoren führten dazu, dass Deutschland diese herausragende Stellung einnahm. Einer davon war, dass man über vorzügliche Verbindungen durch die etwa 100.000 Reichsdeutschen (Deutsche der ersten Generation) und 800.000 Volksdeutschen (Deutsch-Brasilianer) verfügte, die etwa drei Prozent der brasilianischen Bevölkerung ausmachten. Die Deutschen beherrschten praktisch den gesamten Flugverkehr. 1927 wurden die Flugesellschaft Condor sowie die Varig (Viação Aérea Rio Grandense) als Tochtergesellschaften der Lufthansa gegründet. 1934 gründeten Deutsch-Brasilianer in São Paulo die VASP (Viação Aérea Sao Paulo). Weder die USA noch Großbritannien hatten ähnliche Einrichtungen in Brasilien. Auch auf anderen Gebieten boten sie keine Vorteile gegenüber Deutschland an. Im Gegenteil, Großbritannen behinderte den Import von brasilianischen Gütern und bevorzugte die Waren aus den Kolonien und aus dem Commonwealth, während die USA nur an schnellem Gewinn und Einnahmen von amerikanischen Banken interessiert waren. Unter den führenden Wirtschaftsnationen war Deutschland die einzige, welche Zahlungsziele von einem bis zu fünf Jahren gab.

Die Financial Times berichtete, dass Brasilien seit dem Inkrafttreten des Abkommens bis 1936 etwa 62 Tausend Tonnen Baumwolle, das waren 50% der brasilianischen Produktion, sowie eine Million Sack Kaffee, 18 Tausend Tonnen Tabak, 4 Tausend Tonnen Bananen und Paránüsse, sowie 200 Tausend Kisten Orangen nach Deutschland exportiert hätte. Diese Geschäfte wurden nur deshalb nicht gesteigert, weil ab 1937 Brasilien selbst die Exporte beschränkte. Es bestand der Verdacht, dass Deutschland durch den Einkauf von noch größeren Mengen landwirtschaftlicher Produkte und Rohmaterialien Vorratslager für den Fall eines Krieges anlegen wollte.

1936 wurden die diplomatischen Vertretungen in Rio de Janeiro und Berlin zu Botschaften aufgewertet. Im Rahmen dieser politischen Annäherung schlug Deutschland vor, dass Brasilien dem Antikominternpakt beitreten solle, der aus den Achsenmächten Berlin-Rom-Tokio bestand. Damit verbunden wäre eine noch engere wirtschaftliche Kooperation, die große Entwicklungsprojekte realisieren könnte, die die Sicherheit und Abwehrkraft Brasiliens erhöhen würden. Dies war bereits der Wunsch des brasilianischen Militärs. Die Firmen Stahlunion, Krupp, Siemens und Demag waren bereit ein Stahlwerk aufzubauen, was von den USA bisher immer verweigert wurde. Der Protest des deutschen Botschafters Karl Ritter gegen die Schließung deutscher Schulen und gegen die Einstellung nationalsozialistischer Aktivitäten in Brasilien führte zu einem Zerwürfnis mit dem Außenminister Oswaldo Aranha und zwang die Regierung Vargas, den deutschen Botschafter zur persona non grata zu erklären. Die deutsche Regierung erwirkte den gleichen Erlass gegen den brasilianischen Botschafter Moniz de Aragão. Im Laufe des Jahres 1938 entstanden weitere Spannungen zwischen den beiden Ländern. Etwa 3.000 Deutsche, die in Brasilien lebten und aktiv für die NSDAP agitierten, mussten zurückkehren. Es entstanden Gerüchte, dass das III. Reich Pläne hätte, die drei Südstaaten Brasiliens mit ihrem beträchtlichen Anteil deutschstämmiger Bevölkerung abzuspalten und ein „Antarktisches Deutschland“ zu gründen.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs verfügte die Regierung Vargas, dass etwa eintausend Reichsdeutsche, das entspach etwa einem Prozent der ansässigen Deutschen, interniert würden. Trotz dieser aufkommenden politischen Spannungen importierte Brasilien im Jahr 1938 am meisten aus Deutschland, nämlich Waren im Wert von 161,3 Millionen Reichsmark. Mit dem Beginn des Krieges im September 1939 blockierten Großbritannien und Frankreich den Warenaustausch mit dem III. Reich. Dies beeinflusste natürlich auch den Handel zwischen Deutschland und Brasilien. Im Laufe des Jahres verfügte die Banco do Brasil, dass sie keine Kompensations-Mark mehr zur Verfügung stellen würde, aber ließ die Möglichkeit zu Gegenseitigkeitsgeschäften offen.

Präsident Getúlio Vargas, als deutschfreundlich bekannt, verhandelte mit Krupp über die Erstellung eines Stahlwerks in Brasilien, weil weder die United States Steel noch ein anderes nordamerikanisches Unternehmen diese Investion übernehmen wollte. Der amerikanische Präsident Roosevelt befürchtete den wachsenden Einfluss des III. Reichs und gewährte einen Kredit von 20 Millionen US Dollar, mit welchen die Companhia Siderurgica Nacional gebaut werden konnte.

Präsident Vargas war sich bewusst, dass er wie bereits 1917 keine Alternative hatte, als die Alliierten im Krieg gegen Deutschland zu unterstützen. Jedoch protestierte er öffentlich gegen die Blockierung von brasilianischen Schiffen durch Großbritannien, die Kriegsmaterial von Krupp geladen hatten. Durch den Einfluss Washingtons wurde der Frachter – Siqueira Campos – freigegeben, aber ein zweites Schiff, die Bagé, wurde nach Lissabon umgeleitet und musste seine Fracht entladen, welche dort eingelagert wurde. Dieser Vorfall erzürnte General Eurico Dutra, den brasilianischen Kriegsminister, der mit dem III. Reich sympathisierte, derart, dass er den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien vorschlug. Tatsächlich gab Brasilien aber dem Druck der Vereinigten Staaten immer mehr nach und im Laufe des Jahres 1941 stellte es die Bereitstellung von Luftwaffen- und Marinebasen entlang der Atlantikküste in Aussicht. Der japanische Angriff auf die nordamerikanische Basis Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 gab Präsident Roosevelt die Möglichkeit, den Widerstand der Befürworter der amerikanischen Isolation zu brechen und offiziell in den Krieg einzutreten.

Getúlio Vargas musste nun im Jahr 1942 die diplomatischen Beziehungen zu den Achsenmächten, aus Solidarität zu den USA, abbrechen. Deutschland bewertete diese Maßnahme als einen latenten Kriegszustand. Seine Unterseeboote begannen nun, Schiffe der brasilianischen Handelsflotte anzugreifen und versenkten zwischen Februar und August 1942 zwanzig davon. Dies wiederum zwang Vargas, den Wirtschaftskrieg aufzunehmen und Deutschland auf die „schwarze Liste“ zu setzen, mit dem Ziel, die deutschen Investitionen in Brasilien zu enteignen. Die zu dieser Zeit in brasilianischen Häfen ankernden 16 Schiffe wurden beschlagnahmt. Der Vertrag mit Krupp wurde gekündigt und die Fluggesellschaft Condor, die Banco Allemão Transatlantico und die Banco Germanico da América do Sul wurden liquidiert. Viele deutsche Unternehmen wurden nationalisiert und wertvolle Gebäude in Rio de Janeiro konfisziert. Die brasilianische Regierung führte den Konflikt bis zur letzten Konsequenz, indem sie ein Expeditionscorps nach Italien entsandte, das sich der V. US-Armee anschloss.