Miguel Trefaut Rodrigues / Luís Fábio Silveira / José Rubens Pirani

Der Beitrag der deutschen Naturforscher für die Naturwissenschaften in Brasilien

Der Beitrag der deutschen Naturforscher für die Naturwissenschaften in Brasilien
Zeichnungen von Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied

In den drei Jahrhunderten, die auf die Entdeckung des Landes folgten, blieben die natürlichen Reichtümer Brasiliens praktisch unbekannt. Portugal verbot die Einreise von ausländischen Naturforschern ins Land, da es fürchtete, eine Begierde nach Gütern zu wecken, von denen das Königshaus noch gar nichts wusste. In dieser Zeit wurden zahllose wichtige Informationen über die brasilianische Fauna und Flora in unorganisierter Weise zusammengetragen, nach Lissabon geschickt und dort unter Verschluss gehalten, in schriftlicher Form oder als Artenmuster, die von den Portugiesen nie systematisch untersucht wurden. Einen Teil dieser grundlegenden Information über diese Geschichtsperiode werden wir niemals kennen, denn das meiste ging 1775 bei dem Brand der Bibliothek des königlichen Palastes infolge des Erdbebens verloren, das Lissabon verwüstete. So bleiben die wichtigsten naturkundlichen Referenzen des Landes aus dieser Zeit weiterhin die Arbeiten des Deutschen Georg Marcgraf (1648) und des Holländers Willem Piso (1658), der eine Astronom, der andere Arzt am Hof des Prinzen Moritz von Nassau. Beide verfassten während der kurzen Zeit der holländischen Herrschaft eine Naturkunde des Landes. Die Situation begann sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu ändern und zwar als Dom Sebastião de Carvalho e Mello, der mächtige Marquês de Pombal, zum Minister des Königs Dom José avancierte. Pombal modernisierte die Universität, schuf Wissenschaftsakademien, das Museum für Naturkunde und plante die so genannten „philosophischen Reisen“ mit dem Ziel, die natürlichen Reichtümer der Kolonien zu erkunden und publik zu machen. Mit seinem Fall nach dem Tod von Dom José kam die „Zeit der Finsternis“ wieder, doch mit der Rückkehr des aus Bahia stammenden Alexandre Rodrigues Ferreira nach Brasilien behauptete sich wenigstens die Idee der wissenschaftlichen Erkundungsreise. Ferreira hatte in Coimbra, an der von Pombal modernisierten Universität Naturkunde studiert und reiste zwischen 1783 und 1792 circa 36.000 km durch das brasilianische Amazonien. Doch aufgrund des durch die napoleonische Invasion veranlassten Umzugs der königlichen Familie nach Brasilien ist dieses Material, bestehend aus hunderten von unbekannten Pflanzen- und Tierarten, niemals publiziert worden. Ein Teil davon wurde von Étienne Geoffroy Saint-Hilaire, der Napoleon begleitete, ins Museum von Paris gesandt und später von ausländischen Naturkundlern beschrieben.

Nach der Öffnung der Häfen für befreundete Nationen (1808) als eine Folge der Übersiedlung des Königshauses nach Brasilien wurde damit begonnen, die brasilianische Fauna und Flora systematischer zu erforschen. Wenngleich die Engländer aufgrund ihrer engen Beziehungen zu Portugal einen gewissen Vorrang hatten und mit ihren Erkundungen bereits 1802, einige Jahre vor der Öffnung der Häfen, begannen, ist unbestreitbar, dass ein bedeutender Teil der Kenntnisse über die brasilianische Biodiversität von den Erkundungen und dem gesammelten Material deutscher Naturforscher herrührt. Die Neugier am Unbekannten und das Wissen über die reichen Sammlungen, die von der Reise Alexandre Rodrigues Ferreiras stammten, weckten das Interesse der Naturkundler für Brasilien.

Unter den deutschen Naturforschern ist einer der wichtigsten zu erwähnenden Namen Georg Heinrich von Langsdorff (1774-1852), der in Rio de Janeiro eine Fazenda besaß, wo er eine naturkundliche Sammlung unterhielt und die meisten der dort eintreffenden Naturforscher empfing und beriet. Langsdorff führte zwei große wissenschaftliche Expeditionen ins Landesinnere durch, eine nach Minas Gerais (1824) und die andere nach Amazonien (1826- 1829). Es waren gut geplante Expeditionen, mit Beteiligung hervorragender Künstler wie Rugendas, Taunay und Florence, die herrliche Bilder der Fauna, Flora und der brasilianischen Landschaften hinterließen. Die reichen, während der Expedition Langsdorffs entstandenen Sammlungen wurden nach Sankt Petersburg geschickt, wo man sie kürzlich wiederentdeckt hat.

Unter den herausragenden deutschen Naturforschern, die Brasilien gleich nach der Öffnung der Häfen besuchten, sticht der Prinz zu Wied-Neuwied hervor. Als Schüler des Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach begeisterte er sich für die indigene Geschichte und Kultur sowie für die Naturkunde. Nach seiner Ankunft in Rio de Janeiro 1815 plante er eine ausgedehnte Reise durch die noch unerforschten atlantischen Regenwälder der Provinzen Rio de Janeiro, Minas Gerais, Espírito Santo und des Südens der Provinz Bahia und hielt sich dort bis 1817 auf. Wied reiste mit zwei deutschen Helfern, die sich bereits in Brasilien befanden, Georg Freyreiss und Friedrich Sellow, doch übernahm er es selbst, zu zeichnen und seine Materialien zu präparieren. Seine Sammlungen waren äußerst bedeutsam in Hinsicht auf Fauna, Flora und Ethnologie, die größte Aufmerksamkeit galt jedoch den zoologischen Sammlungen. Nach Deutschland zurückgekehrt schilderte Wied seine Unternehmung in dem Buch Reise nach Brasilien in den Jahren 1815 bis 1817, das reich illustriert ist und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Dieses Buch enthält die erstmalige Beschreibung diverser Arten der brasilianischen Fauna, oft in den Fußnoten formuliert. Erst später hat Wied die Beschreibung der brasilianischen Fauna eingehend im Detail in zwei klassischen Werken aufgezeichnet. In Beiträge zur Naturgeschichte Brasiliens (1825-1833) beschreibt er die im Verlauf der Reise gefundenen Tiere in allen Einzelheiten mit äußerst wichtigen Anmerkungen zu ihrer Ökologie, in einer neuartigen und bis dahin in den Tropen kaum bekannten Sicht, wobei er auch seine ersten Eindrücke von der Biogeografie des atlantischen Regenwalds präsentiert. Leider liegt diese Arbeit noch nicht in portugiesischer Übersetzung vor und ist nur im deutschen Original zugänglich. In Abbildungen zur Naturgeschichte Brasiliens (1822-1831), einer Sammlung mit 90 großartigen aquarellierten, in Faszikeln publizierten Bildtafeln, illustriert Wied einen Teil der Arten und beschreibt andere neue. Er bezieht sich auf ca. 80 Säugetierarten, mehr als 400 Vogelarten (etwa ein Drittel davon neue), 16 Echsen, 2 Doppelschleichen, 30 Schlangenarten, 16 Amphibien, 6 Schildkröten und einen Alligator, wovon ein bedeutender Teil zum ersten Mal und noch bis heute gültig beschrieben wurde. Wieds Reisebericht ist bis heute eines der schönsten Bücher der Reiseliteratur, mit der Darstellung eines noch unberührten atlantischen Regenwalds und seiner noch kaum akkulturierten indigenen Bevölkerung. Seine Beobachtungen lassen uns die Populationsdichte von Vögeln und Säugetieren erahnen, die von den indigenen und nicht-indigenen Bewohnern des atlantischen Regenwalds gejagt wurden – wie Jacus (Weißstirnguane), Jacutingas (Blaukehlguane), Porcos-do-Mato (Pekaris, Nabelschweine) und Antas (Tapire) –, da dieser Naturforscher immer versuchte, über die Zahl der von den Einheimischen erlegten Tiere Buch zu führen. Wied hatte auch die seltene Gelegenheit, Schwärme von dunkelroten Aras (Ara chloropterus) an der brasilianischen Atlantikküste zu sehen. Sie sind heute ausgestorben aufgrund der Abholzung der Wälder sowie der Jagd auf sie, sei es für Federschmuck oder für den illegalen Handel. Wenngleich diese Daten in bruchstückhafter Weise gesammelt wurden, sind sie doch heute von extremer Wichtigkeit, denn es sind die einzigen, die uns eine Vorstellung von der Dichte vermitteln, mit der diese Arten der Fauna den in der Gegenwart so zerstörten atlantischen Regenwald bevölkerten. Der wichtigste Teil der von Wied gewonnenen zoologischen Sammlungen und die Tagebuchaufzeichnungen sind erhalten und befinden sich im American Museum of Natural History in New York.

Zwei andere herausragende deutsche Wissenschaftler, der Zoologe und Arzt Johann Baptist von Spix und der Botaniker Karl Friedrich Philipp von Martius trafen in Rio de Janeiro im Gefolge der Prinzessin Leopoldine ein. Zwischen 1817 und 1820 unternahmen sie die ausgedehnteste und ergiebigste Expedition durch das Land, vor allem hinsichtlich der zoologischen und botanischen Ergebnisse, mit denen sie eines der für die Zeit repräsentativsten Informationskorpora zu Brasilien als Vermächtnis hinterlassen haben. Die beiden Naturforscher kehrten nach Europa zurück mit 85 Säugetierarten, 350 Vögeln, 130 Reptilien und Amphibien, 116 Fischen, 2.700 Insekten, 80 Spinnenarten, 80 Krustentieren und 6.500 Pflanzen. Gleich nach der Reise begannen sie, ihre Beobachtungen zu ordnen und Bücher über die Reise sowie über die brasilianische Flora und Fauna zu publizieren. Spix veröffentlichte umfangreiche, mit aquarellierten Bildtafeln illustrierte Monografien, die die Beschreibung der verschiedenen Arten von Vögeln, Säugetieren, Weichtieren, Insekten, Amphibien und des größten Teils der Reptilien der Reise enthielten. Ihm zu Ehren sind diverse Vogelarten nach ihm benannt worden, darunter der Spix-Blauara (Cyanopsitta spixii), eine endemische Art der Caatinga, der semiariden Gebiete des Nordostens, die heute in der freien Natur ausgestorben ist. Nach Spix‘ Tod übernahm Wagler die Bearbeitung der Schlangen und mit den Fischen befasste sich Agassiz. Zwischen 1823 und 1832 veröffentlichte Martius zuerst drei Bände mit Beschreibungen zahlreicher Gattungen und Arten neuer brasilianischer Pflanzen sowie die erste Abhandlung über die Palmen des Landes mit dem Titel Genera et Species Palmarum; beide Werke sind reich illustriert. Doch Martius ragt vor allem durch die Organisation und Publikation des beeindruckendsten und umfangreichsten Werks über die Flora des Landes heraus: seine Flora Brasiliensis, veröffentlicht in 40 Bänden (zwischen 1840 und 1909) ist bis heute eines der wichtigsten Referenzwerke für das Studium der südamerikanischen Botanik. Zur Realisierung dieses Projekts gelang es Martius, 65 botanische Fachleute aus Europa zur Mitarbeit zu gewinnen, und nach seinem Tod im Jahr 1868 führten seine deutschen Kollegen August W. Eichler und Ignatz Urban die Koordination und Kompilation der für den Abschluss des Werks nötigen Bände fort. Von den 22.767 dort beschriebenen Pflanzenarten waren 5.939 für die damalige Wissenschaft neu und 3.800 wurden reich illustriert. Darüber hinaus trug Martius maßgeblich zum Studium der brasilianischen Fauna bei, indem er 1863 eine Aufstellung mit den Namen der brasilianischen Tiere in der Tupi-Sprache veröffentlichte.

Einer der deutschen Naturforscher, der wahrscheinlich noch mehr zur Erkundung der brasilianischen Biodiversität hätte beitragen können, war unterdessen in den Wassern des Rio Doce, in Minas Gerais, ums Leben gekommen: Friedrich Sellow. Er hielt sich von 1814 bis 1831 in Brasilien auf und trug umfangreiche naturkundliche Sammlungen zusammen, die er an das Zoologische Museum in Berlin sandte. Er schickte 12.500 Pflanzenmuster, mehr als 110.000 Insekten, 263 Säugetiere und 5.457 Vögel, sowie Angaben zu Nestern und Eiern, was diesen Naturforscher zu einem der produktivsten macht, die brasilianischen Boden betreten haben. Das zoologische Material erhielt jedoch nicht die gebührende Aufmerksamkeit des Museumsdirektors M. Lichtenstein, der die korrekten Herkunftsbezeichnungen nicht beachtete, Etiketten vertauschte und so auf unwiederbringliche Weise die Vollständigkeit und Nützlichkeit des mühsam von Sellow gesammelten Materials beeinträchtigt hat. Sellow war der Naturforscher, der mit der größten Anzahl von botanisierten Artenmustern zur Kompilation der von Martius herausgegebenen Flora Brasiliensis beitrug. Zum Andenken an den Namen Sellows sind zahlreiche Pflanzen und Tiere wissenschaftlich nach ihm benannt worden, von diversen Fachleuten, die ihm so eine Hommage erteilten.

Der größte Teil der von deutschen Naturforschern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Brasilien gewonnenen Sammlungen ist heute in deutschen Museen erhalten, mit Duplikaten der auf andere europäische Herbarien verteilten botanischen Sammlungen; bis heute befassen sich damit Forscher der ganzen Welt. Viele der gesammelten Exemplare sind heute das einzige und einsame Zeugnis des Vorkommens einer Art an einem bestimmten Ort und dienen uns somit als Fenster zum Verständnis der Verteilung der brasilianischen Fauna und Flora zu einer Zeit, als unsere Biome noch nicht so ernsthaft den aggressiven Einflüssen der menschlichen Aktivitäten ausgesetzt waren.