Karen Lisboa

Natur und Bevölkerung Brasiliens aus der Sicht deutscher Reisender

Natur und Bevölkerung Brasiliens aus der Sicht deutscher Reisender
Jäger von Wied-Neuwied, 1816. In: Brasilien-Bibliothek der Robert Bosch GmbH. Vol. 2, 1988

Nach Auffassung des Historikers Sérgio Buarque de Holanda bewirkte die große Zahl von Ausländern, die nach der Öffnung der Häfen nach Brasilien kam, eine neue Entdeckung dieses Landes. Mit der Präsenz der königlichen Familie in Rio de Janeiro und dem Ende des exklusiven portugiesischen Kolonialregimes hatten sich die Grenzen des Landes für die anderen Nationen geöffnet.

Damit begann das Jahrhundert, in dem Brasilien, neben Mexiko, eines der von Ausländern meistbesuchten lateinamerikanischen Länder wurde. Die immense geografische Weite, die natürlichen Reichtümer und die ethnische Vielfalt zogen professionelle und Amateurforscher an. Wirtschaftliche, wissenschaftliche und politische Gründe motivierten kühne Erkundungsreisen, die im Rahmen des Neokolonialismus, der Machtkämpfe zwischen Frankreich, England, Russland, dem österreichisch-ungarischen Reich und Deutschland verstanden werden müssen. Andererseits befand sich Brasilien selbst in der Phase der Staats- und Nationsbildung. Dazu war es nötig, das eigene Territorium zu erschließen, seine Grenzen zu festigen, sein wirtschaftliches Potenzial zu ergründen und die so verschiedenartige Bevölkerung zu erkunden.

Man darf annehmen, dass die Ankunft Leopoldines von Habsburg 1817 in Rio, in Begleitung einer erlesenen Gruppe von Forschern, Anlass zur Organisation weiterer wissenschaftlicher Expeditionen in Brasilien gab. Davor hatten sich bereits einige Deutsche nach Brasilien vorgewagt. Etwa der Mineraloge Wilhelm Ludwig von Eschwege, den die portugiesische Krone nach Brasilien holte, um Eisenfabriken zu errichten und Kohleminen auszubeuten. Er nutzte seinen zehnjährigen Aufenthalt auch, um kartografische und geografische Erkundungen durchzuführen, die er in einem umfangreichem Werk herausgab. Georg Heinrich von Langsdorff, ein an der Universität Göttingen ausgebildeteter Mediziner und Naturwissenschaftler, lernte die brasilianischen Küsten Ende 1803 auf einer Weltumseglung unter dem Kommando des Kapitäns Krusenstern kennen. Fasziniert von der tropischen Natur kehrte er 1813 als Generalkonsul Russlands nach Brasilien zurück.

Ein anderer Faktor, der das Interesse von Deutschen für die tropischen Regionen Brasiliens verstärkte, war die Resonanz der Expedition des Naturforschers Alexander von Humboldt nach seiner Rückkehr nach Europa im Jahr 1805. In praktischer Hinsicht unterstützte und empfahl Humboldt Reisen von Naturforschern nach Brasilien, wie u. a. im Fall von Maximilian zu Wied- Neuwied. In theoretischer Hinsicht machte Humboldts Konzept einer Vereinigung von wissenschaftlicher Behandlung und ästhetischer Betrachtung, die am damals in Europa verbreiteten romantischen Geschmack ausgerichtet war, die amerikanischen Tropen zu einem für die Wissenschaftler äußerst begehrten Ziel. Seine Beschreibungen der Physiognomie der Natur dienten als Modell für zahlreiche Reiseberichte. Zudem gab das ehrgeizige Projekt des Naturforschers Carl von Linné, die Gegenstände aller Reiche der Natur zu klassifizieren, beschreiben und systematisieren, Anlass zu einem auf die Entdeckung neuer Arten gerichteten Sammlerdrang, was wenig bekannte Orte mit reicher Naturvielfalt sehr gesucht werden ließ.

Brasilien mit seinen verschiedenen Biomen ermöglichte der Welt mit der Öffnung der Häfen den Zugang zu seiner Artenvielfalt. Das Bestreben der Naturwissenschaftler zu Beginn des 19. Jahrhunderts ging jedoch über das Studium der Natur hinaus. Ihr forschender Blick richtete sich gleichfalls auf alles, was die menschliche Gesellschaft betraf. Von anthropologischen Aspekten bis zur Geschichte, der materiellen und geistigen Kultur, der Wirtschaft, den Sitten usw. Und auch in dieser Hinsicht eignete sich Brasilien mit seinen Indios, Schwarzen, Weißen und Mischlingen ausgezeichnet als Feld für die Beobachtung und Deutung der historischen und zivilisatorischen Prozesse.

Unter den verschiedenen Typen von deutschen Reisenden, die im Laufe des 19. Jahrhunderts auf diesen Reisen beruhende Berichte, Essais, Briefe, Abhandlungen, Romane, Gedichte, Gemälde, Stiche und Zeichnungen anfertigten, finden sich neben den Naturforschern auch Söldner (wie z. B. Carl Seidler, Karl von Koseritz u. a.), zahlreiche Künstler, Fotografen, Geschäftsleute und Kolonialpolitiker. Zögerlicher kamen Erzieherinnen wie z. B. Ina von Binzer, die Anfang der 1880er Jahre in Brasilien eintraf. Als Privatlehrerin wohlhabender Familien arbeitete sie in einer der damals reichsten Regionen des Landes, im Innern der Provinz São Paulo. In dieser Umgebung hatte sie Gelegenheit die letzten Jahre der Sklaverei zu beobachten, die durch viele Spannungen und Krisen im Sektor des Kaffeeanbaus geprägt waren. Da sie bei den Familien lebte, präsentiert sie gleichfalls ein recht scharfsichtiges Bild der Oberschicht zu Ende des 19. Jahrhunderts. Ihre Beobachtungen zeichnete sie in Briefen auf, die an eine fiktive Freundin in Deutschland gerichtet waren und worin eine Reihe von Gedanken zum Kulturschock und den Unterschieden zwischen den beiden Welten zur Sprache kommen, getönt durch den Blick einer Frau, die im alten Preußen erzogen worden war.

Unter den zahlreichen Forschungsreisenden, die über Brasilien schrieben, heben sich mehrere durch eine intensive und lange Beziehung mit dem Land hervor. Es folgt ein kurzer Kommentar zu einigen von ihnen.

Verglichen mit der Reiseroute von Spix und Martius und der Expedition von Langsdorff war die Reise des Prinzen Maximilian zu Wied-Neuwied (1782-1867) nicht lang. Sie führte zwischen 1815 und 1817 durch die Provinzen Rio de Janeiro, São Paulo, Minas Gerais und Bahia. Was ihm allerdings einen besonderen Platz verschafft, ist die Tatsache, dass er monatelang bei indigenen Stämmen lebte, insbesondere bei den Botokuden in Minas Gerais, einer strategischen Region aufgrund der Ausbeutung der Minenreichtümer sowie der Ausweitung der Landerschließungsgrenze. Diese Indios galten als äußerst gefährlich und „wild“. In dieser Hinsicht, indem er längere Zeit bei ihnen verweilte, war Wied ein Vorläufer der modernen Anthropologie. Mit Hilfe des Indios Quack, der ihm als Übersetzer, Gesprächspartner, Vermittler und Führer diente, konnte Wied allmählich seine vorurteilsbehaftete Sicht mildern. Ebenso wie Langsdorff, hatte Wied in Göttingen studiert und war Schüler von Blumenbach, einem der bedeutendsten „Anthropologen“ der Zeit, der seine Studenten mit dem Auftrag durch die Welt schickte, Forschungen über die verschiedenen menschlichen „Rassen“ durchzuführen. Unter dem Einfluss des ästhetisch-wissenschaftlichen Stils Humboldts gab Wied seinen Reisebericht heraus, der neben der Ethnografie naturkundliche Studien sowie reiche Beschreibungen seiner Reiseorte enthält. Er wurde 1820 veröffentlicht, mit zahlreichen, von Wied selbst stammenden Illustrationen, und sehr bald in andere Sprachen übersetzt.

Wieds Buch kam in dem Jahr heraus, in dem Carl Friedrich Philipp von Martius (1794-1868) und Johann Baptist von Spix (1781-1826) von ihrer langen Reise durch Brasilien zurückkehrten. Nach drei Jahren, die sie unterwegs waren und mehr als 10.000 km im Land zurückgelegt hatten, trafen sie wieder in München ein. 1817 waren sie in Rio an Land gegangen, im Auftrag der Münchner Königlichen Akademie der Wissenschaften und unter der Schirmherrschaft Maximilians I. von Bayern sowie des Kaisers von Österrreich, Franz I. Beide Naturforscher gehörten dem Gefolge von Gelehrten an, das die Erzherzogin Leopoldine begleitete. Da die österreichische Gruppe sich im Verlauf der Expedition verspätete, setzten Spix und Martius ihren Reiseweg unabhängig fort. Anfangs begleitete sie der österreichische Maler Thomas Ender, aber gesundheitliche Gründe zwangen ihn, die Expedition zu verlassen und nach Wien zurückzukehren. Doch selbst in seinem kurzen einjährigen Aufenthalt fertigte der Künstler über 1.000 Skizzen an.

In Anbetracht dessen, dass die Küste des Landes bereits bekannter war, entwarfen Spix und Martius einen recht ehrgeizigen Reiseplan. Von Rio de Janeiro brachen sie nach São Paulo auf und von dort nach Minas Gerais. Daraufhin durchquerten sie eine bis damals von Naturforschern unerkundete Region: den Sertão, das semiaride Hinterland der heutigen Staaten Bahia, Pernambuco, Piauí und Maranhão. 1819 trafen sie krank und recht geschwächt in São Luís ein. Dort erholten sie sich. Von Belém aus nahmen sie die lange Exkursion durch das Amazonasbecken in Angriff.

Unter den deutschen Naturforschern im Brasilien der Kaiserzeit gelang es keinem, die Reiseerfahrung in ein so umfassendes Werk umzusetzen wie Martius. Da Spix sechs Jahre nach der Rückkehr starb, blieb seine Arbeit unvollendet. Der Botaniker Martius aber lebte noch vier Jahrzehnte, in denen er sich den brasilianischen Themen widmete. Vom Reisebericht über die Ethnografie bis zu den Studien der Flora und Phytogeografie, mit Abstechern in die fiktionale Literatur und Historiografie: alles handelt von Brasilien.

Zwischen 1823 und 1831 wurde der großartige Bericht Reise in Brasilien in drei Bänden publiziert, deren fast 1.400-seitiger Ausgabe Karten, zahlreiche Abbildungen (Naturszenen, Menschentypen und Sitten) und eine musikalische Sammlung von indigenen Melodien, Lundus und Modinhas beigefügt sind. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass die Reise in Brasilien einen vollendeten ästhetisch-wissenschaftlichen und der Romantik entsprechenden Stil à la Humboldt erreichte. Die tropische Natur war Quelle der Forschungen und der Gefühle. Schon bei ihrer Ankunft in Rio de Janeiro, wird die Faszination in ihrer Beschreibung deutlich, als sie sich von der Stadt entfernten, um in den Wald am Corcovado einzudringen:

So standen wir wie bezaubert mitten in einer fremden, üppigen Natur. [...] Der majestätische Anblick, die sanfte Ruhe und Stille dieser Wälder, welche nur durch das Schwirren der bunten, von Blume zu Blume fliegenden Colibris und durch die wunderbaren Töne fremdartiger Vögel und Insekten unterbrochen wird [...].

Alle diese Eindrücke, so schließen sie berauscht, „wirken mit einer Magie von ganz eigener Art auf das Gemüth des gefühlvollen Menschen, der sich hier im Anblicke des herrlichen Landes gleichsam neugeboren fühlt“.

Zahllos sind die Beispiele, in denen die Natur der Tropen als Sphäre dargestellt wird, die Genuss, Entzücken und Bezauberung hervorruft und ein Gefühl der Vereinigung mit der Natur erlaubt. Und selbst wenn sie in einigen Momenten bedrohlich ist, wegen der wilden und giftigen Tiere, der höllischen Plagen durch Insekten wie Flöhe, Mücken und Kakerlaken, des äußerst feuchten oder trockenen und heißen Klimas sowie der erstickend schwülen Urwälder, so dominieren in den Beschreibungen von Spix und Martius doch die reizvollen Bilder der Natur. Und je nach ihrem Grad an „Wildheit“ wird sie zu einem wahrhaften Paradies für die Entdeckung neuer Arten und trägt natürlich auch dazu bei, die Sammlungen der Naturforscher zu vermehren.

In ihren Vergleichen mit Europa wird die tropische Natur verherrlicht und als höher erachtet, hinsichtlich der Bewohner aber vermitteln die Schilderungen abwertende Ansichten, die von rassistischen und hierarchisierenden Vorurteilen herrühren. Vom eurozentrischen Blick geleitet wie praktisch alle Reisenden der Zeit glaubten sie, dass zuviele „rassische“ und kulturelle Unterschiede ein Hemmnis für den Zivilisationsprozess seien, der von den Weißen geführt werden sollte, da sie den Indios, Mestizen und Schwarzen gegenüber als „höherstehend“ galten. Angesichts der Feststellung, dass ein guter Teil der Bevölkerung nicht weiß und europäisch war, verfochten sie die Idee der ethnischen Vermischung als einen Weg, ihre Hautfarbe „aufzuhellen“ und sie zu „zivilisieren“. Mit Blick auf den Zivilisationsprozess betrachteten sie die Präsenz der Monarchie in Brasilien mit Wohlwollen, da sie in einem Land mit Sklavenwirtschaft mehr Stabilität garantiere. Martius hat diese Idee in den 1840er Jahren in der Abhandlung „Bemerkungen über die Verfassung einer Geschichte Brasiliens“ entwickelt, die an das kurz zuvor gegründete Instituto Histórico Geográfico Brasileiro adressiert war.

Den Indios gegenüber empfanden sie eine besondere Befremdung, die sie an deren Menschentum zweifeln ließ, sodass sie diese Geschöpfe entweder ins Tierreich verwiesen oder ihnen einen Platz unter den „Barbaren“ und „Halbzivilisierten“ zuschrieben. In ihre Sammlung nahmen sie auch vier Indios auf, um sie der wissenschaftlichen Gemeinschaft als „lebende Kabinettobjekte“ zu präsentieren. Anders als im Fall von Quack, der Wied- Neuwied nach Deutschland begleitete und sich dort einlebte, starben zwei auf der Atlantiküberfahrt und die anderen beiden, noch Kinder, in München bald nach dem Winterbeginn.

Als Langsdorff (1774-1852) 1813 zum zweiten Mal nach Brasilien kam, war er 39 Jahre alt und hatte bereits einen guten Teil der Erde bereist. Seine wissenschaftlichen Beziehungen zur Königlichen Akademie der Wissenschaften Russlands ermöglichten seine Ernennung für das diplomatische Amt in Brasilien. Langsdorff, der schon als Arzt in Portugal gearbeitet hatte und das Portugiesische beherrschte, sollte in Brasilien die Interessen der russischen Regierung zur Erweiterung ihrer Handelsfront vertreten, sowie naturkundliche Forschungen und Studien durchführen. Mit russischer Unterstützung organisierte er einige kleinere Erkundungsreisen mit Friedrich Sellow, Georg Freyreiss und Wied-Neuwied. In dieser Zeit wurde die Fazenda Mandioca – die ihm gehörte – zu einer Art Wissenschaftszentrum und Treffpunkt der Forscher. Dort führte man experimentelle Pflanzungen durch, baute Kaffee, Maniok, Mais, Kartoffeln, Bananen sowie Muskatnüsse an und erforschte die Natur des umgebenden tropischen Urwalds. Auf dieser Fazenda war es auch, wo Spix und Martius zum ersten Mal einen Indio der „menschenfressenden“ Botokuden sahen, der dort nicht nur die Arbeit eines Hausdieners verrichtete, sondern auch als „lebendes Objekt“ im naturkundlichen Kabinett diente.

1820 kehrte Langsdorff nach Europa zurück mit der Absicht, Einwanderer auf seine Fazenda zu holen sowie eine große Expedition zu organisieren. Mit finanzieller Förderung des Zaren verpflichtete er den Astronomen Nestor Rubtsov, den deutschen Botaniker Ludwig Riedel, den Zoologen Édouard Ménétries und den Künstler Johann Moritz Rugendas. Zurück in Brasilien steckte er eine äußerst kühne Expeditionsroute ab, doch der Beginn zögerte sich hinaus. Ähnlich wie Spix und Martius, die den Sertão der nordöstlichen Regionen des Landes durchquerten, ein Gebiet, das, wie bereits gesagt, der europäischen und brasilianischen Wissenschaft unbekannt war, wollte Langsdorff das Amazonasbecken über die Flüsse der Zentralregion Brasiliens erreichen. Auf diese Weise folgte seine Expedition den ehemaligen Wegen der alten Bandeirantes und Monçoeiros, er verweilte dabei jedoch an den Orten und entdeckte von Europäern selten gesehene Winkel. Die Etappe in Minas Gerais, der vom Großteil der Ausländer aufgrund ihrer mineralischen Reichtümer besuchten Provinz, dauerte z. B. acht Monate. Sie legten in dieser Zeit 1.500 km zurück. In Mato Grosso verblieb der Tross ein Jahr. Langsdorff bezeugte seinen Drang, das brasilianische Land kennenzulernen, in einem Brief vom 16. März 1825: „Je mehr ich dieses Land kennenlerne, desto größer wird mein Interesse an seinen unbekannten Plätzen. Brasilien ist wirklich eine neue Welt.“

In Cuiabá löste sich die Expeditionsgruppe auf. Riedel und der Maler Aimé Taunay, der verpflichtet wurde, nachdem Rugendas sich mit Langsdorff überworfen und die Gruppe verlassen hatte, zogen weiter nach Westen über die Flüsse Mamoré, Madeira und Amazonas bis zum Rio Negro. Langsdorff und die übrigen nahmen die Flüsse Preto, Arinos, Jurena, Tapajós und Amazonas.

Fernab von den Küstengegenden drangen die Wissenschaftler in ein Land, das noch von zahlreichen indigenen Stämmen bevölkert war. Langsdorff, der sich mit Anthropologie befasste und wie Wied engen Kontakt zu Blumenbach unterhielt, erwartete von den Künstlern der Expedition, dass sie die Indios so wirklichkeitsnah wie möglich porträtierten. Bei dieser Arbeit enstanden zahlreiche Bilder der Völker Mundurucu, Apiacá, Txamacoco, Guaná, Guató und Bororo. Allein von Hand des Franzosen Hercule Florence, des zweiten Illustrators, der aufgenommen wurde, um Rugendas zu ersetzen, hat man über 300 Zeichnungen der Natur und der Menschen gezählt. Die Reisetagebücher von Florence und Langsdorff sind nicht nur ein Bericht von dem Reisealltag und der wissenschaftlichen Arbeit, sondern auch eine Beschreibung, wie Maria Fátima da Costa zeigt, dass im inneren Brasilien ein offener Krieg herrschte. Ein Krieg gegen ein feuchtes Klima, gegen Krankheiten, gegen enorme Insektenschwärme und, schlimmer als all dies, ein Krieg zwischen dem Kolonisator und den einheimischen Bewohnern.

Die Teilnehmer an diesen Expeditionen passierten Grenzen zwischen Fluss und Land, zwischen Krankheit und Gesundheit, zwischen Leben und Tod, zwischen geistiger Klarheit und Bewusstlosigkeit. Der junge Aimé Taunay ertrank im Fluss Guaporé. Langsdorff erkrankte und verlor am Ende die Besinnung. Sein Reisetagebuch bricht im Mai 1828 ab. Es wurde kürzlich ins Portugiesische übersetzt und herausgegeben. Eine Schilderung der gesamten Odyssee, die acht Jahre dauerte und bei der 15.000 km zurückgelegt wurden, hat Florence verfasst, der zu einer treuen Stütze Langsdorffs wurde. Das reichhaltige, von verschiedenen Forschern aufgezeichnete Material der Expedition bildete einen enormen Quellenbestand über die Natur und die Bevölkerung, der nach und nach zum großen Teil nach Russland geschickt wurde. Langsdorff kehrte 1830 nach Deutschland zurück. Ohne seine Gesundheit wiederzuerlangen, war es diesem einst so vitalen Wissenschaftler nicht mehr möglich die letzte Etappe seines Projekts abzuschließen: die Auswertung der zoologischen, botanischen, mineralogischen und ethnografischen Sammelstücke sowie der im Eifer des Moments gemachten Aufzeichnungen und Illustrationen. Und keiner der anderen Teilnehmer übernahm die Aufgabe, ein Werk darüber herauszugeben, wie es Martius, Rugendas, Wied-Neuwied und andere taten.

Moritz Rugendas (1802-1858) wuchs in einer traditionellen Künstlerfamilie in Augsburg auf. Wie erwähnt, kam er 1822 auf Einladung Langsdorffs nach Brasilien. Pablo Diener (1997) zufolge verpflichtete Langsdorff ihn aufgrund seines Talents als Zeichner. Man erkennt, dass bei dieser ersten Reise nach Brasilien der Großteil seiner Arbeiten Bleistiftillustrationen von Pflanzen und Tieren sowie Porträts menschlicher Typen sind, die aus der Perspektive des naturkundlichen Blicks konzipiert waren. Einige Zeichnungen wurden gleich danach leicht aquarelliert. Nach seinem Zerwürfnis mit Langsdorff, mit dem er nur von Rio de Janeiro bis Minas Gerais reiste, entschloss sich Rugendas, das Land allein zu erforschen und lernte so Bahia und Pernambuco kennen. 1825 kehrte er im Besitz von mindestens 500 Zeichnungen nach Europa zurück, zum Missfallen seines ehemaligen Arbeitgebers. Der Künstler bearbeitete seine Werke für die Publikation des schönen Bandes Voyage Pittoresque dans le Brésil (Paris 1827-1835), das in Faszikeln erschien und 100 Illustrationen enthält. Humboldt unterstützte nicht nur die Edition, sondern beriet ihn auch bei der Auswahl der Bilder. Für diesen Naturforscher war Rugendas derjenige Künstler, der in seinen Bildern die charakteristischen Merkmale der tropischen Natur am besten eingefangen und wiedergegeben hat.

Ähnlich wie die Naturforscher, wollte Rugendas einen Gesamtüberblick geben über das, was er in Brasilien gesehen hatte. Den Illustrationen gehen einleitende Texte voraus, geschrieben von einer Art ghost writer, Victor Aimé Huber. Das Buch ist nach Themen unterteilt und nicht nach dem räumlichen Verlauf der Reise wie die Berichte von Wied-Neuwied, Spix und Martius. Zu  Beginn wird dem Leser eine Erläuterung der verschiedenen brasilianischen Landschaften präsentiert, unter Berücksichtigung von Aspekten der Geografie, des Klimas, der Vegetation und des Reliefs. Nachfolgend werden die einzelnen Regionen beschrieben, auch mit ihren Städten und ihrer Bevölkerung (Rio de Janeiro und Umgebung, Minas Gerais, Bahia und Pernambuco). Es schließt sich eine Chakterisierung der menschlichen Typen an, mit Blick auf die ethnische Zusammensetzung Brasiliens sowie ihre anthropologischen, sozialen und kulturellen Aspekte.

In seiner Schilderung zeigt der junge Maler, dass in derselben Weise, wie ihn die Vielfalt der Natur faszinierte, er die ethnische Vielfalt als äußerst interessant für den „Beobachter“, den „Staatsmann“ und den „Bürger“ ansah. Obwohl er die indigene Thematik ausführlich behandelt, war der Kontakt Rugendas mit Indios recht spärlich gewesen und die Behauptung mag nicht falsch sein, dass viele der indigenen Szenen in der Voyage nicht auf Informationen basieren, die er direkt gesammelt hat. Anders ist der Fall der Porträts, die er von den Indios der Coroados, Puris und Maxacalis anfertigte. Der gewisse Mangel an dokumentarischer Fundierung mindert jedoch nicht die Relevanz allgemeiner Kommentare zur Indigenenfrage, die eine größere Aufmerksamkeit des Leser verdienen. Behutsamer als Spix und Martius in ihren Bemerkungen über die Indianer kritisiert Rugendas die Ansicht zeitgenössischer Reisender, die an der Fähigkeit der Indios zweifeln, die Zivilisation zu assimilieren oder dass sie sich auf der „untersten Stufe der Zivilisation“ befänden. Dazu urteilt er kategorisch, diese Ideen seien „falsch“.

Einer der Brennpunkte, auf die Rugendas seine Aufmerksamkeit richtet, sind die in Brasilien lebenden Schwarzen. Wenngleich er in seinen Einschätzungen Vorurteile rassistischen Gehalts nicht völlig überwindet, ist doch seine Kritik am Handel mit afrikanischen Sklaven und an der Sklaverei selbst hervorzuheben, wobei er sich für ihre graduelle Abschaffung ausspricht. Rugendas betonte die Notwendigkeit, die Sklaventransporte aus Afrika effektiv zu unterbinden, die seit den 1820er Jahren zwar als illegal erklärt worden waren; doch hatte das Gesetz in Brasilien keine Wirkung. Wie bekannt ist, wurden Vorschläge zur Abschaffung der Sklaverei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemein nur in sehr kleiner Zahl präsentiert und ohne jeden Erfolg. Wie im Fall des Gesetzentwurfs, den José Bonifácio de Andrada 1823 im Parlament eingereicht hatte. Da Rugendas zu dieser Zeit in Brasilien war, war er sicher darüber unterrichtet. Mit seinem berühmten Bild vom Zwischendeck eines Sklavenschiffs, „Nègres à fond de calle“, das sehr wahrscheinlich nicht aus direkter Beobachtung entstanden ist, hat der junge Künstler der Ikonografie des Abolitionismus ein wichtiges Vermächtnis hinterlassen.

Rugendas kam ein zweites Mal nach Brasilien, als er von seiner Rundreise durch Lateinamerika zurückkehrte. Von 1845 bis 1846 ließ er sich ein Jahr lang in Rio de Janeiro nieder. Beherbergt in der Stadt erfreute er sich der Kontakte und Freundschaften, die er in den 1820er Jahren geknüpft hatte. Rugendas wurde eingeladen, seine Werke auszustellen und schuf eine Reihe von Porträts der königlichen Familie.

Es ist bekannt, dass die Expeditionen dieser Reisenden und das, was sie für die wissenschaftliche Gemeinschaft und für den Leser im Allgemeinen produzierten, eine unerschöpfliche Quelle für die Geschichte Brasiliens im 19. Jahrhundert sind. Darüber hinaus wurde diese große Anzahl an Reiseberichten, Studien, Illustrationen usw. von den brasilianischen Naturwissenschaften, der Historiografie, der Literatur, der Kunst, den Sozialwissenschaften und der Politik des 19. Jahrhunderts selektiv angeeignet und im Zuge der Nationsbildung verwendet. Die meisten dieser Deutschen übten Kritik an dem, was sie in Brasilien sahen, doch gleichzeitig setzten sie auf die Entwicklung der jungen Nation und präsentierten eine Reihe von Anregungen. Brasilien wurde als ein verheißungsvolles, junges Land gesehen, wo die Natur bisher noch mehr getan hatte als die Menschen. Die Arbeit dieser Reisenden trug dazu bei, engere Beziehungen zwischen diesen zwei Welten zu schaffen und den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch dynamischer werden zu lassen. Andererseits geschahen diese Austauschprozesse nicht immer in ausgewogener Weise. Angefangen von der Art, wie das Wissen in den Institutionen und unter den Personen zirkulierte, bis zur Ausblendung der Stimmen und des körperlichen Einsatzes, die die Verwirklichung dieser unglaublichen Expeditionen überhaupt erst ermöglichten. Abgesehen von Quack, der in dem Reisebericht zu einem wichtigen Teilnehmer wird, muss man sich fragen, wieviele Führer, Übersetzer, Vermittler und Informanten nötig waren, um dieses ganze Wissen vor Ort zu erlangen. In diesen minutiösen Beschreibungen offenbaren sich Vorurteile einer eurozentrischen Sicht, die in einem System binärer Rangordnungen von Zivilisation und Barbarei, Kultur und Natur sowie Fortschritt und Rückständigkeit gründen. In dieser Hinsicht handeln die faszinierenden Biografien, Reisen und Werke sowohl vom Brasilien als auch vom Deutschland des 19. Jahrhunderts und als solche müssen sie kritisch in ihrem historischen und transkulturellen Kontext verstanden werden.