Maria Luiza Tucci Carneiro

Nazis unter Verdacht? Brasilien, 1933-1945

Nazis unter Verdacht? Brasilien, 1933-1945
Zeitung Deutscher Morgen, 1932

„Nazis in Brasilien“ ist noch heute ein polemisches Thema, herrscht doch weiterhin ein gewisses Schweigen über das Wirken dieser Gruppe im Land in den 1930er und 1940er Jahren. Dazu kommt, dass die wirkliche Zahl der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Brasilien geflüchteten Nazis unbekannt ist. 1930-1945 regiert von Getúlio Vargas, wurde Brasilien zu einer Art „Tummelplatz“ für das Treiben von Nazis, Faschisten und Integralisten, die sich mit den von Adolf Hitler und Benito Mussolino verbreiteten Ideen identifizierten. Zwischen 1930 und 1942 tauchten etliche faschistische und nationalsozialistische Gruppen an diversen Orten des Landes auf, begünstigt durch den staatlichen Autoritarismus sowie durch konservative Segmente der katholischen Kirche und der brasilianischen Presse. Unter den Anhängern findet man einen beträchtlichen Teil der Einwanderergemeinden italienischer, italobrasilianischer, deutscher und deutschbrasilianischer Abstammung. Aus diesen Kerngebieten gingen die wichtigsten Aktivisten und Sympathisanten des Nazifaschismus in Brasilien hervor, unterschieden durch ihre Interessen und ihre Nähe zu den amtlichen Machtinstanzen. Selbst vor 1930 zog der Staat eine Reihe von Ausnahmegesetzen heran, die in ihrer Essenz das Land dafür aufnahmebereit machten, die revolutionären Vorschläge des italienischen Faschismus und des deutschen Nazionalsozialismus als „Neuheiten der Moderne“ zu empfangen. Italienische und deutsche Zeitungen, die von Einwanderern in Brasilien publiziert wurden, waren darauf bedacht, mit einer gewissen Bewunderung über die Erfolge Mussolinis ab 1922 und Hitlers ab 1933 zu berichten.

Während der ersten Regierung Vargas nahmen die rechtsextremen Parteien wichtige Bevölkerungssegmente für sich ein. Die politischen Machthaber ihrerseits erblickten im italienischen Faschismus und im deutschen Nationalsozialismus sowie in ihren Führern Inspirationsquellen für das Modell der Nation, die sie in Brasilien aufbauen wollten. Die ersten Nazi-Gruppen entstanden 1929 und wurden nach 1933 in die Auslandsorganisation der NSDAP (AO) eingegliedert, deren Zielgruppe die im Ausland ansässigen Deutschen war. Ab 1934, mit dem Wechsel Hans Henning von Cossels, dem Landesleiter der NSADP, von der Hauptstadt Rio de Janeiro nach São Paulo, organisierte die deutsche Regierung bei den Auslandsdeutschen ein ideologisches Unterwanderungs- und Propagandasystem. 1937 übernahm der für die AO verantwortliche Ernst Wilhelm Bohle auch diplomatische Aufgaben an der deutschen Botschaft in Brasilien und bewirkte, dass die NSDAP in ostentativer Weise ihre Mission zum „Schutz“ der Auslandsdeutschen erfüllte. Mehrere dieser Institutionen wurden in São Paulo, Rio de Janeiro, Porto Alegre und Curitiba geschaffen, wo die Nationalsozialisten Propaganda betrieben und neue Anhänger gewannen. Der Historikerin Priscila Perazzo (2009) zufolge beherbergte der Bundesstaat São Paulo „die größte Konzentration von Parteigängern und Sympathisanten des Nationalsozialismus, mit 785 NSDAP-Mitgliedern, von denen 366 in der Hauptstadt ansässig waren.“

Aus den Akten des damaligen Departamento Estadual de Ordem Política e Social (Bundesstaatliches Amt für politische und soziale Ordnung – DEOPS) wird klar ersichtlich, dass die Autoritäten der brasilianischen Polizei den Aktionen der nationasozialistischen Parteigänger günstig gesonnen waren. Bis 1942 verbarg die Regierung Vargas ihre Sympathien für die nazifaschistischen Führer und Leitbilder nicht und hielt eine Reihe deutschfreundlich und antisemitisch Gesinnter in den oberen Rängen des Estado Novo. Mit dem Schein der „Neutralität“ bemäntelt, ermutigten diese Sympathien die Anhänger des Nationalsozialismus in Brasilien dazu, über die Bewahrung identitätsstiftender Elemente der deutschen Kultur und der alldeutschen Gesinnung hinaus, das Hakenkreuz als Symbol ihrer politischen Identität offen zur Schau zu tragen (s. Magalhães, 1998). Die deutschen Schulen ihrerseits wurden zu bevorzugten Plätzen für die Verbreitung deutscher Sprache und Kultur, nunmehr begleitet von Nazi-Hymnen und -Gedichten. Die Filiale der Deutschen Ueberseeischen Bank, Banco Allemão Transatlantico, etablierte sich als Ort, wo die Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie verkehrten, und die Zeitung Deutscher Morgen fungierte als eines der wichtigsten Propagandaorgane Hitlers im Kreis der deutschen Gemeinschaft (s. Kossoy / Carneiro, 2004).

Ab 1935 versuchte Getúlio Vargas die ideologische Überwachung durch die Vereinigten Staaten zu hintergehen, indem er etwa 20 geheim gehaltene Rundschreiben zirkulieren ließ, die es untersagten, den durch das Dritte Reich verfolgten Juden Einreisevisa für Brasilien zu erteilen. Man war auf der Suche nach einem Idealmodell des brasilianischen Menschen und angesichts dieses Dilemmas sahen sich die staatlichen und diplomatischen Autoritäten in Schwierigkeiten, mit den ethnischen und ideologischen Unterschieden umzugehen. Die Regierung Vargas widmete sich der Entwicklung eines Erziehungsprojekts und einer Einwanderungspolitik „zugunsten der Brasilianisierung der Republik“, basierend auf Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und übersteigertem Nationalismus, den charakteristischen Komponenten der europäischen Faschismen. Er verordnete die Schließung der Schulen, verbot den Unterricht in fremder Sprache und die Zeitungen mussten auf Portugiesisch erscheinen. Deutsche Institutionen und Vereine wurden unter systematische Überwachung gestellt, wie unter anderen das Internato Alemão (Deutsches Internat), die Associação Escola Alemã (Verein Deutsche Schule) des Stadtteils Mooca- Bráz, das Colégio Visconde de Porto Seguro (vorher die „Deutsche Schule“ in São Paulo), die Associação Alemã da Cultura Aymoré (Deutscher Kulturverein Aymoré).

Mit den Nationalisierungskampagnen wurde ein regelrechter Krieg gegen die ausländische Kolonisation geführt, die als unkontrollierbar und gefährlich hingestellt wurde. Deutsche, Polen, Japaner und Italiener, die im Süden des Landes ansässig waren, wurden verfolgt, weil sie nicht den espírito de brasilidade, den „Geist des Brasilianertums“ zum Ausdruck brachten. Dessen ungeachtet wurden die Nazis nach 1942 als „Feinde des Regimes“ nicht radikal verfolgt. Doch die Juden – zum großen Teil Deutsche, Polen, Österreicher und Italiener – wurden systematisch überwacht, da sie nach der polizeilichen Logik in die Kategorie Antifaschisten und Bürger der Achsenmächte fielen, obwohl dies ein begrifflicher Gegensatz war (s. Wiazovski, 2001 und 2008). Für die in Brasilien wirkenden Nazis war die Verfolgung zeitlich datiert: 1942 bis 1945. Das Vokabular der Ermittler des Geheimdienstes wurde bereichert durch ausländische Ausdrücke und Namen, die für sich allein schon reichten, um den objektiven Feind zu etikettieren: deutsche Nazis und italienische Faschisten. Das Erscheinen der seit dem 16. März 1932 publizierten Zeitung Deutscher Morgen wurde 1941 unterbrochen und im Jahr darauf, am 29. Januar 1942, aufgrund des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland verboten. Derselbe Verlag publizierte auch den Kalender Volk und Heimat, der gleichermaßen in der deutschen Gemeinschaft verbreitet und ein Medium zur Propagierung antisemitischer, antibolschewistischer und prohitlerischer Ideen war. Der überwachende Blick aber richtete sich hauptsächlich auf die Deutschen, die angeklagt waren, einem von der Abwehr, dem Geheimdienst des deutschen Oberkommandos, unterhaltenen Spionagenetz anzugehören (s. Perazzo, 1999). Bei dieser Jagd vereinten sich das FBI, Interpol, das brasilianische Außenministerium, die über ganz Brasilien verteilten regionalen Kommisariate und die einfachen Bürger. Einen Deutschen wegen „Nazi-Verdacht“ anzuzeigen wurde zur geläufigen Praxis in den Zentralen des DEOPS von São Paulo, selbst wenn der betreffende Mensch ein staatenloser (sic!) Jude war, was nur zeigt, wie unvorbereitet und verantwortungslos die polizeilichen Autoritäten agierten (s. Barbosa, 2011). Zwischen 1942 und 1945 herrschte eine Politik konstanter Entfremdungen, unaufrichtiger Haltungen und vielfältiger Maskierungen, die noch heute den politischen Mythen förderlich sind und zwiespältige Versionen über die Nähe der Regierung Vargas zum Dritten Reich begünstigen. Es bleibt Aufgabe der Forscher mit interdisziplinärem Blick den Spuren nachzugehen, die in den Mikrogeschichten der einzelnen Akteure enthalten sind, um so die zeitgenössische Geschichte Brasiliens und Deutschlands (neu) zu schreiben.